Aufsätze

Kürzlich stöberte ich wieder Mal in den Heften meiner Schulzeit und dabei insbesondere in den Aufsätzen. Dabei ist mir wie nie zuvor aufgefallen, dass ich bereits von Kindsbeinen an einen massiven Widerstand verspürte, wenn es um die Einschränkung der persönlichen Gedankenfreiheit eines Menschen ging: dem grössten Geschenk, welches ein Mensch besitzen kann. Und das ist bis heute so geblieben, obwohl inzwischen einige Jahrzehnte vergangen sind. Ich fühle mich frei und reich, wenn ich mich bewusst nicht an Zwänge der Gesellschaft halte, an denen der Wert eines Menschen gemessen wird. Es gibt mehrere Aufsätze, welche meine entsprechende Grundhaltung wiedergeben. Nur würde ich wohl heute andere Beispiele innerer Fesseln zitieren, zumal es die konsumorientierte Gesellschaft geschafft hat, die Massstäbe der Gesellschaft gewinnorientiert anzusetzen. Und es gibt Momente, in denen ich mich ernsthaft frage, wozu der Mensch im Gegensatz zum Tier ein Gehirn bekommt. Ich frage mich deshalb, weil kaum ein Unterschied auszumachen ist – im Gegenteil.

Freiheit   (Aufsatz aus dem Jahr 1966)

Wie der Vogel sich unabhängig von seiner Umwelt in die Lüfte schwingt und in der freien Weite des Himmels seine Kreise zieht, so liebt es der Mensch, ohne Einschränkung der persönlichen Freiheiten seinen Weg zu gehen. Sicher gibt es kein erhabeneres Geschenk für ihn als die Freiheit des Denkens und Fühlens.

Freiheit im Denken und Fühlen! Keine Macht der Erde – und mag sie noch so gewaltig sein – kann mich zwingen, beispielsweise von den Lehren eines Marx überzeugt zu sein. Oder soll ich mich Anderer willen selbst täuschen, indem ich mir einrede, dass ich den Menschen hier liebe und den anderen dort hasse? Keine Gedankenpolizei kann hochgezüchtet werden, welche kontrolliert, ob ich das Leben verabscheue oder es lebenswert finde. Es wird sich doch niemand erlauben, mir zu verbieten, an das Gute oder an das Schlechte im Menschen zu glauben!

Es wäre nicht richtig, nur von der persönlichen Freiheit in bezug auf die Weltanschauung und Geisteshaltung zu schreiben. Gerade in unserem Alltag finden wir unzählige Beispiele der Freiheit des Denkens und Fühlens, welche die geistige Unabhängigkeit unter Beweis stellen.

Hat es denn  überhaupt einen Sinn, wenn die Älteren den Jungen von der guten alten Zeit predigen? Liegt es nicht auf der Hand, dass der jugendliche Jazzfanatiker seinen Grossvater nie von seiner Auffassung abbringen kann, dass doch die volkstümliche Musik tausend Mal schöner sei? Verschiedene Zeiten – verschiedene Ansichten!

Jeder lebt sein eigenes Leben: Auch das heranwachsende Kind lässt nicht wenige Gelegenheiten ungenutzt, dem elterlichen Zwang zu entgehen, um so zu handeln, dass es seinen Wünschen gerecht wird. Doch die fürsorgliche Hand der Eltern lenkt die Gedanken wieder auf Wege, die – wie sie glauben – allein zum Ziele führen werden. Die Zeit vergeht jedoch und früher oder später brechen sie aus den Bahnen aus. Der junge Mensch glaubt nichts eiliger tun zu müssen, als die Last fremder Anschauungen, die ihn behindern, von seinen Schultern zu werfen. Er macht sich eine eigene Theorie über seine Umwelt. Wir können vielleicht seine Ansichten nicht verstehen. Wer jedoch sollte es ihm verwehren, anders zu denken als wir?

Die Gedankenwelt aller menschlichen Individuen ist sicher die unübersichtlichste und eigentümlichste Einrichtung der Natur; aber sie ist gut und richtig am Platze. Wenn wir die menschlichen Gedanken in Schranken legen wollten, wären wir nicht wieder auf der Stufe des Tieres angelangt? Wären wir, die wir uns für die unübertrefflichsten Wesen der Schöpfung halten, nicht armselige Würmer, willenlos, die zertreten werden? Eines Tages würden wir die Fesseln auferlegter Knechtschaft und Tyrannei der Gedanken mit aller Macht wieder sprengen – eine Explosion von Milliarden berstender Gedanken, die ihre eigenen Wege zu gehen gewillt sind.