Allgemein,  Gesellschaft

Erfolgsgeil und masslos

Es ist ja nichts Neues, dass in der sog. modernen Welt Menschen an ihrem Erfolg gemessen werden bzw. letztendlich am Gewinn/am Nutzen, den sie einem relativ kleinen Teil der Menschheit einbringen. Durch die Devise, dass nur der Beste/Schnellste/Auffälligste/Lauteste usw. es wert ist, in den Medien zu erscheinen, tun Menschen die unmöglichsten Dinge und werden zu Marionetten der Gesellschaft. Und die Gesellschaft amüsiert sich mittels TV oder Internet und ist dankbar, dass Andere für Abwechslung bei den News aus aller Welt sorgen.

In den letzten Tagen häuften sich in den Medien die Berichte über den Massenandrang am Mount Everest und die tragischen Folgen davon. Im Tages-Anzeiger vom Samstag, 26. Mai schreibt Jürg Rohrer (Zürich-Redaktor und Alpinist) darüber Folgendes:

Wie viele Tote sind es bereits? Zehn? Oder mehr? Was derzeit am Mount Everest passiert, ist ein groteskes und makabres Schauspiel, an dem die Welt mittels Satellitenbilder und Internet fast live teilnehmen kann. Grotesk sind die Fotos dieser endlosen Schlange von Bergsteigern, 300 hintereinander, die sich Fixseilen hochquälen; makaber die Berichte, dass der Weg auf den Gipfel an Leichen und Sterbenden entlangführt.

Menschenschlangen am Berg sind an sich nichts Besonderes, es gibt sie in der Hochsaison auch am Montblanc, am Allalinhorn oder am Matterhorn, wo jeden Tag 100 oder 150 Bergsteiger hochwollen und sich gegenseitig mit losen Steinen bombardieren. Doch am Everest ist alles doppelt so hoch und wegen der dünnen Luft mehrfach gefährlicher. Die Leistung, die diese Menschen erbringen, ist enorm – selbst mit mitgeführtem Sauerstoff. Doch warum tun sie sich diese unsägliche Anstrengung an? Warum bezahlen sie 40’000 oder 60’000 Franken auf die Gefahr hin, die Zehen oder gar das Leben zu verlieren?

Es gib schönere Berge als den Mount Everest, alpinistisch interessantere. Doch er ist der höchste. 8848 Meter! Nur diese Rekordmarke macht ihn so begehrenswert, auch für solche, die sonst nie in den Himalaja kämen. Nicht die Leidenschaft für die Berge treibt viele dieser Bergsteiger an, sondern die Leidenschaft für den Rekord. Der Aufstieg ist der Weg zum Renommee, auf dem höchsten Berg der Welt gewesen zu sein; und dieses Renommee ist offenbar so verlockend, dass man sogar sein Leben aufs Spiel setzt.

Zuoberst stehen, der Höchste sein, alles und alle unter sich haben: Bergsteigen ist immer schon als Metapher für den gesellschaftlichen Aufstieg benützt worden. Vor allem Banken und Versicherungen verwenden für ihre Werbung Bilder mit Bergsteigern. Das Seil stellt die Sicherheit dar, die die Firma verspricht, und der Bergführer ist der Kundenberater. Nur kann oben am Everest kein Bergführer mehr helfen. Zu viele sind unterwegs, zu viele überfordert. Statt Aufstieg gibt es stundenlangen Stau auf 8500 Meter Höhe.“

Letztendlich muss jeder selbst verantworten, was er tut oder eben nicht. Aber der Schluss-Satz in Bericht von Jürg Rohrer hat mir besonders zu Denken gegeben, da der Andrang am Everest nur ein Beispiel von vielen ist, wo die Konsumgesellschaft heute angekommen ist. Er schreibt:

„Die Bilder vom Everest wirken wie die Karikatur einer Gesellschaft, die blind vor Ehrgeiz jedes Mass verloren hat.“

Treffender hätte er es nicht ausdrücken können.